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"Europas Seele ist die Toleranz"

Mi, 17.01.2007
Vor dem Europäischen Parlament in Straßburg hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht nur das Programm der deutschen EU-Präsidentschaft vorgestellt. Sie hat in ihrer Rede auch das Wesen Europas bestimmt. Europa sei der Kontinent der Toleranz, betonte die Kanzlerin.
Die Rede der Bundeskanzlerin als Video
 
Die Kanzlerin griff in ihrer Rede die Zweifel vieler Menschen in Europa auf: "Viele Menschen in Europa fragen sich: Was soll Europa sein? Wozu brauchen wir Europa? Was hält Europa im Innersten zusammen? Was macht Europa aus?"
 
Auf diese Fragen müsse man eine Antwort finden. Europa lebe zwar von seiner Vielfalt. Aber die Vielfalt als solches könne nicht das universelle europäische Prinzip sein.  Die Vielfalt sei nur durch die Freiheit möglich. "Und die Eigenschaft, die uns dazu befähigt, die uns genau zur Freiheit in Verantwortung für den anderen befähigt, die ist ein wertvolles Gut. Es ist die Toleranz."
 

Mit den Augen des anderen sehen

 
Es gäbe einen ganz einfachen Weg zur Seele Europas, zur Toleranz: "Man muss auch mit den Augen des anderen sehen. Es ist ein reizvolles Abenteuer, mit den Augen der vielen Völker Europas die Vielfalt unseres Kontinents zu entdecken, also unseren Reichtum." 
 
Das sei es doch, wonach wir suchten und strebten. "Nach dem Miteinander unter den Völkern. Das war und ist doch auch das große Ziel der europäischen Einigung."
 

Fahrplan für Europäische Verfassung

  
Mit dem Entwurf des Verfassungsvertrages spreche erstmals auch ein europäischer Vertragstext ausdrücklich von der Toleranz, durch die sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auszeichnen. Die Kanzlerin machte deutlich, dass die Phase des Nachdenkens vorbei sei:  
 
"Jetzt gilt es, bis Juni neue Entscheidungen zu erarbeiten. Ich setze mich dafür ein, dass am Ende der deutschen Ratspräsidentschaft ein Fahrplan für den weiteren Prozess des Verfassungsvertrages verabschiedet werden kann", so Merkel. Der Verfassungsprozess müsse bis zu den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 zu einem guten Ende geführt werden.
 

Merkel fordert europäischen Außenminister

 
Nur mit einer neuen Verfassung könnten die Herausforderungen unserer Zeit gemeistert werden. Die Kanzlerin zeigte zwei Schwerpunkte auf: zum einen die außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen. Dabei nannte sie die Situation im Kosovo, im Nahen Osten, in Afghanistan und Afrika. Aber auch die transatlantische Partnerschaft mit den USA und die Partnerschaft mit Russland gehöre dazu.
 
"Nur gemeinsam können wir diese Herausforderungen annehmen", machte die Kanzlerin klar. "Wir müssen gemeinsam handeln. Genau deshalb brauchen wir für die europäische Außenpolitik den europäischen Außenminister. Damit unseren Worten Taten folgen können."
 

Europäisches Sozialstaatsmodel erhalten

 
Als zweiten Schwerpunkt nannte die Kanzlerin die Erhaltung des europäischen Sozialstaatsmodels unter den Bedinungen der Globalisierung: "Das ist es, was die Bürger von Europa, von ihren Regierungen erwarten", so Merkel.
 
Dabei habe sie geschaut, unter welchen Bedingungen sich Regionen in der Welt am erfolgreichsten entwickelten. Der amerikanische Wissenschaftler Richard Florida habe das untersucht und sei dabei auf drei Faktoren gestoßen: "Auf Technologie, Talente – und – auf Toleranz! Nur wenn alle drei Faktoren zusammen kommen, dann gelingt es, in Zukunftsfeldern nachhaltig zu wachsen."
 

Trio-Präsidentschaft wichtig

 
Diese gesamten Aufgaben seien allerdings nicht in sechs Monaten zu bewältigen. Die Kurzatmigkeit sechsmonatige Ratsvorsitze müsse überwunden werden, forderte die Kanzlerin. Deshalb sei die Idee der Trio-Präsidentschaft so wichtig.

"Ich freue mich", sagte die Ratspräsidentin,  "den Auftakt der ersten Trio-Präsidentschaft in der Europäischen Union heute Mittag hier in Straßburg zusammen mit meinem portugiesischen und meinem slowenischen Amtskollegen zu begehen."
 
Erstmals hat Deutschland zusammen mit Portugal und Slowenien für 18 Monate eine Trio-Präsidentschaft übernommen. Daher trifft die Kanzlerin im Anschluss an ihre Rede vor dem Parlament mit dem portugiesischen Miniterpräsidenten José Sócrates und dem slowenischen Ministerpräsidenten Janez Janša zusammen.