Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel  zum G8-Weltwirtschaftsgipfel vom 6. bis 8. Juni 2007 in Heiligendamm

Do, 24.05.2007
 
 


Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
 
Ich denke, Sie haben Verständnis, dass ich diese Regierungserklärung nicht beginnen kann, ohne auch von meiner Seite für die Bundesregierung der Opfer des Anschlags vom vergangenen Samstag in Kunduz zu gedenken. Drei deutsche Soldaten und mehrere afghanische Zivilisten verloren bei diesem feigen Anschlag ihr Leben. Unsere Soldaten verloren ihr Leben bei der Unterstützung des Auftrages der internationalen Staatengemeinschaft, den Menschen im geschundenen Afghanistan bessere Lebensbedingungen zu bieten und den Terrorismus einzudämmen. Im Namen der Bundesregierung spreche ich in dieser schweren Stunde den Hinterbliebenen unser tiefes Mitgefühl aus. Den Verletzten wünsche ich baldige Genesung.
 
Den Menschen in Afghanistan sage ich: Es wird den Terroristen nicht gelingen, uns von unserem Einsatz für Freiheit, Demokratie und die Achtung der Menschenrechte abzubringen. Deutschland steht an Ihrer Seite.
 
Die deutschen Soldaten in Afghanistan und all die zivilen Helfer von Nichtregierungsorganisationen leisten Herausragendes. Sie verdienen unser aller Unterstützung und unseren herzlichen Dank. Ihr Einsatz ist unverzichtbar.
 
Meine Damen und Herren, auf Einladung des deutschen Vorsitzes wird der diesjährige G 8-Gipfel Anfang Juni in Heiligendamm stattfinden. Er bietet uns ein einmaliges Forum, um gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs der Gruppe der G 8 und der wichtigsten Schwellenländer über die politischen Antworten auf drängende globale Fragen unserer Zeit zu diskutieren. Wie schon in Sankt Petersburg vor einem Jahr, so werden uns auch in Heiligendamm aktuelle außen- und sicherheitspolitische Fragen beschäftigen, genauso wie sie an diesem Wochenende die G 8-Außenminister beschäftigen werden.
 
Die blutigen Unruhen im Gazastreifen lassen uns nicht ruhen. Der Raketenbeschuss aus den palästinensischen Gebieten auf Israel hat wieder zugenommen. Dieser Beschuss muss aufhören, er muss erneuten Versuchen zur Vertrauensbildung Platz machen. Gewalt führt zu keiner Lösung der Probleme. Die Lösung liegt unverändert in der Vision von zwei Staaten in sicheren Grenzen und in Frieden: für das jüdische Volk in Israel und für das palästinensische in Palästina. Die Region insgesamt muss zur Ruhe kommen. Deshalb dürfen die anhaltenden Versuche, die Regierung des Libanons zu schwächen, nicht zum Erfolg führen. Der Schlüssel dafür liegt darin, dass auch Syrien zu einer konstruktiven Haltung findet und den Libanon endlich diplomatisch anerkennt.
 
Auch die gemeinsame Sorge um das Atomprogramm des Iran wird in Heiligendamm Thema sein. Für uns ist klar: Wenn die Führung des Landes ihren internationalen Verpflichtungen nachkommt, sind wir zu einer weitreichenden Kooperation mit dem Iran bereit. Wenn das nicht der Fall ist, wird der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen weiter entschlossen reagieren.
 
Die Erörterung außenpolitischer Fragen kam in den 80er-Jahren auf die Tagesordnung der Weltwirtschaftsgipfel, wohingegen in den ersten Jahren ausschließlich Wirtschaftsthemen im Mittelpunkt der Beratungen standen. Seit den 90er-Jahren schließlich werden auf den G-8-Gipfeln regelmäßig auch umwelt- und entwicklungspolitische Themen beraten.
 
Beim ersten Weltwirtschaftsgipfel, 1975 auf dem Schloss Rambouillet, sprach noch niemand von Globalisierung. Heute steht die Globalisierung im Mittelpunkt unserer Beratungen. Wir wissen: Die Globalisierung bietet große Chancen, Chancen für Wachstum, für Beschäftigung, für Wohlstand und für Freiheit, und zwar für alle Länder. Mehr noch: Sie bietet eindeutig mehr Chancen als Risiken. Wir müssen diese Chancen allerdings erkennen, und wir müssen sie nutzen. Gerade Deutschland hat als exportorientiertes Land in großem Maße von den Freiheiten der Globalisierung profitiert. Über 8 Millionen Arbeitsplätze hängen heute vom Export ab. Das sind immerhin 2,5 Millionen mehr als vor zehn Jahren. Der Exportanteil an unserem Bruttoinlandsprodukt hat sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. In Deutschland beträgt er heute 45 Prozent.
 
Aber auch andere Länder, allen voran unsere mittel- und osteuropäischen Nachbarn, verdanken ihren wachsenden Wohlstand den Freiheiten der Globalisierung. Nicht zuletzt eröffnen Globalisierung und freier Welthandel auch und gerade den Entwicklungsländern große Chancen. In vielen dieser Länder, nicht zuletzt in Afrika, hat das Wachstum in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.
 
Und doch weckt die fortschreitende Globalisierung bei vielen Menschen in Deutschland wie in anderen Ländern erhebliche Ängste. Diese Ängste nimmt die Bundesregierung ernst. Viele Menschen stellen bohrende Fragen: Kann die Globalisierung überhaupt noch politisch gestaltet werden? Gibt es Alternativen zur Globalisierung, so, wie sie abläuft? Wird Europa seinen Wohlstand in diesem Wettbewerb bewahren können?
 
Diese Fragen wischen wir genauso wenig einfach vom Tisch wie den öffentlichen Protest, der sich daran anschließt. Natürlich muss sich dieser Protest an der Sache orientieren, und er muss friedlich sein. In der übergroßen Mehrheit ist er das auch. Denken wir an die unzähligen Initiativen von Schulen, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen, die zum G 8-Gipfel in ganz Deutschland und ganz besonders in der Nähe des Austragungsortes geplant sind.
 
Ich sage ganz klar: Wer zu Gewalt greift, der macht Dialog unmöglich. Diejenigen, die Sicherheitsmaßnahmen heute lautstark kritisieren, wären die ersten, die den Sicherheitsbehörden mangelnde Vorsicht vorwerfen würden, wenn Gewalt ausbrechen würde. Wir sollten mit unseren Worten behutsam umgehen. Umgekehrt gilt aber auch ‑ ich sage das ganz unmissverständlich ‑: Wer friedlich demonstriert, dessen Anliegen ist nicht nur legitim, sondern der findet auch unser Gehör.
 
Ich bin der Überzeugung, dass die Politik durch die Globalisierung weder entbehrlich noch machtlos wird. Ich schließe mich ausdrücklich nicht der weitverbreiteten Einschätzung an, dass die Politik keinen Einfluss auf die Globalisierung nehmen kann und ihr daher nur hinterherläuft. Im Gegenteil: Wir können und wir müssen Globalisierung nicht nur im jeweils eigenen Land, sondern auch auf internationaler Ebene politisch gestalten. Hierfür ist die G 8 ein wertvolles Gremium. Das ist ganz wesentlich und der Sinn dieser Treffen.
 
Es geht bei der G 8 nicht darum, spezifische Interessen der führenden Industrieländer gegen den Rest der Welt durchzusetzen. Das wäre der völlig falsche Ansatz. Es geht vielmehr darum, bei Fragen, die die ganze Welt betreffen, gemeinsam zu Fortschritten zu kommen und die Verantwortung der führenden Industrieländer hierbei deutlich zu machen. Deshalb hat die Bundesregierung die G 8-Präsidentschaft unter das Motto "Wachstum und Verantwortung" gestellt. Denn wir wollen, dass die G 8-Länder ihre Verantwortung für die globalen Entwicklungen wirklich wahrnehmen.
 
Neu ist, dass wir dies wesentlich stärker als in der Vergangenheit im Dialog mit wichtigen Schwellenländern anstreben. Daher werden wir schon beim G 8-Gipfel in Heiligendamm am 8. Juni mit den Staats- und Regierungschefs aus China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika zusammenkommen. Wir wollen die G 8 nicht zu einer G 13-Gruppe erweitern. Aber wir wissen: Ohne die Schwellenländer sind Fortschritte, etwa beim Klimaschutz, bei der Welthandelsrunde oder beim besseren Schutz geistigen Eigentums, heute nicht denkbar. Wir wollen bei diesen Fragen ein gemeinsames Verständnis entwickeln, das über den kleinsten gemeinsamen Nenner ein großes Stück hinausgeht. Ziel dabei ist der Aufbau einer neuen Kooperation der G 8 mit den großen Schwellenländern in Form eines sachorientierten Dialogs, der über das Treffen in Heiligendamm hinaus fortgesetzt werden soll.
 
Sieben Themen stehen im Mittelpunkt des Gipfels.
Erstens. Der globale Aufschwung. Wir wollen die Risiken für die Fortsetzung des Aufschwungs begrenzen oder andersherum: Wir wollen alles tun, um den Aufschwung der weltweiten Wirtschaft zu verstetigen. Dass sich die Weltwirtschaft in guter Verfassung befindet, haben IWF und Weltbank bei den Frühjahrstagungen noch einmal deutlich gemacht. Die deutsche Wirtschaft hat hieran maßgeblichen Anteil. In diesem und im kommenden Jahr können wir mit einem Wachstum von deutlich mehr als 2 Prozent rechnen. Ich darf hier sagen: Die Politik der Bundesregierung, der Dreiklang von Sanieren, Investieren und Reformieren, zeigt Wirkung.
 
Lassen Sie es mich hier noch einmal sagen: Was wurde uns nicht alles von der Opposition und von Sachverständigen vorhergesagt? Unsere Politik ‑ so hieß es das ganze letzte Jahr ‑ werde den beginnenden Aufschwung zerstören. Keines dieser Untergangsszenarien ist eingetreten. Der Aufschwung ist stark. Das liegt wahrlich nicht allein, aber auch an der Festigkeit der Großen Koalition, die sich nicht vom Kurs des Dreiklangs von Sanieren, Reformieren und Investieren abbringen lässt.
 
Wir wissen: Die Finanzmärkte sind ein essenzieller Bestandteil unserer globalen Wirtschaftsordnung. Ihre Stabilität verdient unsere besondere Aufmerksamkeit. In den letzten Jahren haben sich mit den Hedgefonds neue Finanzinstrumente entwickelt, die einerseits die Markteffizienz erhöhen, andererseits aber bisher keine ausreichende Transparenz bieten. Transparenz ist nach unserer Auffassung dringend notwendig. Nur so lassen sich die Risiken verringern, die von Hedgefonds für die Stabilität der Weltwirtschaft und mittelbar für das Vertrauen in unsere Wirtschaftsordnung ausgehen. Daher halte ich eine ernsthafte Diskussion über mehr Transparenz bei den Hedgefonds für unverzichtbar. Diese Diskussion erfordert Geduld. Schnelle Ergebnisse können angesichts auseinanderliegender Wahrnehmungen nicht erwartet werden. Aber wir müssen diese Diskussion führen.
 
Ich bin sehr froh, dass es beim G 8-Finanzministertreffen am vergangenen Wochenende eine Annährung gegeben hat. Die G 8-Finanzminister haben sich einstimmig auf Empfehlungen verständigt, die sich an Aufsichtsbehörden, Geschäftspartner und Investoren in Hedgefonds sowie an die Hedgefondsbranche selber richten. Wichtig ist dabei, dass die Empfehlungen darauf abzielen, insbesondere Standards für das Risikomanagement zu entwickeln. Der Bundesregierung liegt sehr daran, diese Standards zu einem Code of Conduct fortzuentwickeln. Wir wollen diesen Dialog deshalb über das G-8-Treffen in Heiligendamm hinaus fortsetzen. Denn diese Probleme ‑ davon bin ich zutiefst überzeugt ‑ müssen gelöst werden. Ansonsten sind wir nicht kalkulierbaren Risiken ausgesetzt.
 
Zweites Thema: Innovationen. Sie sind der Schlüssel für Wachstum und Wohlstand. Einen besonderen Stellenwert haben dabei Maßnahmen zum wirksameren Schutz des geistigen Eigentums. Produktfälschung und Markenpiraterie sind insbesondere für die innovativen Industrien in Deutschland einen Riesenproblem. Immerhin 30 Prozent der weltweiten Patentanmeldungen im Maschinenbau stammen aus Deutschland. Der effektive Schutz dieser Erfindungen liegt ganz klar in unserem Interesse. Wenn das nicht gelingt, werden wir auf den internationalen Märkten erhebliche Wettbewerbsnachteile haben.
 
Dieses Thema gewinnt ‑ das merken wir ‑ auch in den Schwellenländern an Bedeutung. Es gibt daher ein zunehmend gleichgerichtetes Interesse daran, den Schutz von geistigem Eigentum und von Innovationen zu fördern. Vor diesem Hintergrund streben wir gemeinsame Strategien bei der Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie an. Darüber hinaus wollen wir den Dialog mit den Schwellenländern über die Umsetzungsschwierigkeiten und die Verbesserungsmöglichkeiten des internationalen Systems zum Schutz des geistigen Eigentums voranbringen.
 
Drittes Thema: grenzüberschreitende Investitionen. Grenzüberschreitende Investitionen sind eine zentrale Antriebskraft für Wachstum und mehr Beschäftigung. Dabei gewinnen alle Beteiligten, und die Weltwirtschaft hat stets davon profitiert, dass ausländische Direktinvestitionen in der Regel willkommen sind.
 
Aber wie wir sehen, gibt es mancherorts Anzeichen dafür, dass ausländische Investoren auf neue protektionistische Hindernisse stoßen. Dies gilt zum einen für die Industrieländer selbst ‑ hier hat es in jüngster Zeit immer wieder solche Anzeichen gegeben, auch in Europa ‑, und dies gilt zum anderen für Schwellenländer, die das Engagement ausländischer Unternehmen oft nur mit starken Einschränkungen zulassen, etwa in Form von Minderheitsbeteiligungen.
 
Deshalb streben wir in Heiligendamm ein Bekenntnis der G 8 zur Offenheit unserer Märkte für ausländische Investoren an. Dabei ist mir aber Folgendes wichtig: Das Maß an Offenheit, das ausländische Investoren auf unseren Märkten vorfinden, erwarten wir grundsätzlich auch von unseren Handelspartnern. Hier geht es um Gegenseitigkeit, um Reziprozität. Alles andere ist nicht akzeptabel.
 
Viertes Thema: die soziale Gestaltung der Globalisierung. Hier haben wir eine große Verantwortung. Offene Märkte brauchen soziale Teilhabe und politische Akzeptanz. Ich danke Vizekanzler Franz Müntefering, dass er sich insbesondere dieses Themas ganz intensiv angenommen hat. Fortschritte auf diesem wichtigen Gebiet wird es nur geben, wenn die G 8 über ihren eigenen Tellerrand schaut. Auch hier brauchen wir ganz dringend den Dialog mit den Schwellenländern und mit den global agierenden Unternehmen. Dieser Dialog ist unverzichtbar, und er ist im Vorfeld in vielfältiger Form geführt worden.
 
Vom Gipfel in Heiligendamm soll ein starkes Signal für die Beachtung und Verbreitung sozialer Standards ausgehen: der ILO-Kernarbeitsnorm, der OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen und des UN Global Compact für verantwortungsvolle Unternehmensführung.
 
Ich bin mir sicher: Ohne die Beachtung von sozialen und ‑ ich füge hinzu ‑ ökologischen Mindeststandards wird es keinen fairen Wettbewerb in der Weltwirtschaft geben. Gerade wir, die wir in Deutschland so gute Erfahrungen mit der sozialen Marktwirtschaft gemacht haben, haben jetzt, in der Phase der Globalisierung, die Aufgabe, diese Auffassung auch auf internationaler Ebene mit Nachdruck zu vertreten und alles dafür zu tun, dies auch umzusetzen.
 
Fünftes Thema: der Klimaschutz. Er ist ohne Zweifel eine Herausforderung für die gesamte Menschheit; wir haben oft darüber diskutiert. Dies haben uns die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse erneut und schonungslos vor Augen geführt. Wir müssen die Treibhausgasemissionen deutlich und zügig verringern, um die Erderwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen.
 
Deutschland setzt sich deshalb mit aller Kraft für die Weiterentwicklung der internationalen Klimaschutzpolitik für die Zeit nach 2012 ein. Beim Europäischen Rat im Frühjahr unter unserer Präsidentschaft haben wir hierfür auf europäischer Ebene ein ganz wichtiges Signal gegeben. Sie wissen aber: Auf internationaler Ebene ist die Interessenlage deutlich widersprüchlicher. Dies wurde durch die Erörterung des Themas auf dem G 8-Umweltministerrat und genauso auf dem EU-USA-Gipfel Ende April 2007 sehr deutlich gemacht. Wesentlich ist deshalb zuerst, dass die G 8 ein gemeinsames Verständnis dafür entwickelt, wie der Klimawandel wirkungsvoll bekämpft werden kann und welche internationalen Übereinkommen über 2012 hinaus abzuschließen sind.
 
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich weiß heute noch nicht, ob das in Heiligendamm gelingt. Für mich steht aber außer Frage: Die führenden Industrieländer müssen in dieser Frage voranschreiten. Ansonsten werden wir den Klimawandel nicht bekämpfen können. Nur, wenn wir voranschreiten, können wir auch die wirtschaftlich fortgeschrittenen Schwellenländer überzeugen, sich zu angemessenen Maßnahmen zu verpflichten, natürlich ohne, dass ihr Anspruch auf weiteres Wirtschaftswachstum damit vernichtet wird.
 
Ich bin froh, dass sich der Geist der Diskussion verändert hat. Aus einem unversöhnlichen Gegensatz von Ökonomie und Ökologie, der früher manchmal in den Diskussionen hervortrat, ist heute eine Diskussion geworden, durch die klargemacht wird: Beide Seiten ‑ Umwelt und Wirtschaft ‑ können, wenn wir es richtig machen, davon profitieren.
 
Dabei spielt die Steigerung der Energieeffizienz eine herausgehobene Rolle. Neue Technologien für Kraftwerke, energiesparende Gebäudetechniken, umweltfreundliche Kraftstoffe und Antriebe ‑ durch dies alles wird gleichermaßen ein Beitrag zu einer vernünftigen Sicherheit der Energieversorgung und zum Schutz des Klimas geleistet. Deshalb wollen wir mit den G 8‑Ländern darüber sprechen, wie wir hier konkrete Fortschritte erreichen können. Wir müssen das Treffen in Heiligendamm nutzen, um die technologische Zusammenarbeit mit den Schwellenländern hinsichtlich der Energieeffizienz auszubauen, wo immer dies möglich ist.
 
Sechstes Thema: die Liberalisierung des Welthandels. Hier stehen wir vor wichtigen Weichenstellungen. Deutschland hat sich von Anfang an mit allem Nachdruck für einen erfolgreichen Abschluss der Doha-Welthandelsrunde eingesetzt. Ich gehe trotz des inzwischen sehr klein gewordenen Zeitrahmens nach wie vor davon aus, dass bei den Verhandlungen ein Durchbruch möglich ist. Das heißt aber, dass alle Beteiligten ihre Verantwortung wahrnehmen müssen. Das tun sie, wenn sie mehr Flexibilität zeigen und Kompromisse zum Abbau von Handelshemmnissen und zum Wohle gerade auch der ärmsten Länder auf dieser Welt eingehen.
 
Siebtes Thema: die Zukunft Afrikas. Sie wird neben den weltwirtschaftlichen und klimaschutzpolitischen Themen der große Schwerpunkt des Gipfels in Heiligendamm sein. Wir wollen die Reformpartnerschaft mit Afrika fortsetzen und ausbauen. Die afrikanischen Staats- und Regierungschefs der fünf NEPAD-Gründerstaaten sowie der Präsident der Afrikanischen Union, der ghanaische Staatspräsident, werden am 8. Juni 2007 in Heiligendamm dabei sein. Wir wollen als G 8 die Unterstützung für die Länder Afrikas betonen, die Verantwortung übernehmen und Reformen vorantreiben. Dies ist ein besonderes Anliegen der gesamten Bundesregierung und insbesondere auch unserer Entwicklungshilfeministerin.
 
Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Tagen beim "Africa Partnership Forum" wieder gespürt, wie wichtig unser Engagement für unseren Nachbarkontinent ist. Wir sehen: Afrika ist in Bewegung. Es gibt beeindruckende Persönlichkeiten. Mehr und mehr Staaten in Afrika werden demokratisch. Zahlreiche afrikanische Staaten haben inzwischen ein stabiles Wirtschaftswachstum von über fünf Prozent, und die Zahl der bewaffneten Konflikte in Afrika nimmt ab.
 
Auf der anderen Seite bleibt aber noch sehr viel zu tun. Wie schwierig der Prozess der Demokratisierung und hin zur Rechtstaatlichkeit ist, wurde jüngst durch die Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen in Nigeria wieder gezeigt. Mit allergrößter Sorge verfolgen wir auch die Situation in Simbabwe. Die massive Einschüchterung und Verfolgung politischer Gegner und die landesweite Zerstörung von Armenvierteln sind durch nichts zu rechtfertigen.
 
Wir unterstützen natürlich die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union auch bei ihren Bemühungen um ein tragfähiges Friedensabkommen für die Region Darfur. Die Menschen in der Region müssen endlich durch eine gemeinsame Friedensmission von Afrikanischer Union und UN geschützt werden. Es gibt zwar immer wieder leichte Fortschritte, aber für die betroffenen Menschen geht dies alles viel zu langsam. Deshalb wird von Heiligendamm ein ganz klares Signal ausgehen.
 
Die Millenniumsziele für Afrika sind festgelegt. Die Phase der Zieldefinition in der internationalen Staatengemeinschaft ist vorbei. Jetzt geht es um die Umsetzung. Es steht dabei viel politische Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Unsere weitreichenden Zusagen, die wir in den letzten Jahren zur Steigerung unserer öffentlichen Entwicklungsleistung gemacht haben, können Früchte tragen. Wir werden diese Zusagen einhalten.
 
Ich sage das ganz deutlich. Wir werden dazu auch neue Wege gehen müssen, indem wir zum Beispiel innovative Finanzinstrumente nutzen. Ich könnte mir vorstellen, dass im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zur Versteigerung von CO2-Zertifikaten auch Projekte des Klimaschutzes im Sinne der Entwicklungspolitik durchgesetzt werden könnten. Das wäre ein neuer Weg. Ich würde das begrüßen.
 
Wir erwarten aber zugleich von unseren afrikanischen Partnern, dass sie in ihren Reformbemühungen auch energisch voranschreiten. Wir brauchen effiziente Institutionen und Strukturen. Ansonsten werden die Mittel, die wir seitens der entwickelten Länder einsetzen, nicht bei den Menschen ankommen. Das wäre fatal.
 
Wir streben den kontinuierlichen Aufbau funktionsfähiger Gesundheitssysteme in Afrika an. Im Kampf gegen HIV/Aids unterstützen wir ‑ so wie es vereinbart ist ‑ den universellen Zugang zu Prävention, Therapie und Versorgung bis 2010. Hier müssen alle Beteiligten ‑ internationale Organisationen, die afrikanischen Staaten und die Pharmaindustrie ‑ noch erhebliche Anstrengungen unternehmen.
Zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria hat die Bundesregierung ihre bilateralen Fördermittel in 2007 bereits um 400 Millionen Euro erhöht. Als G 8-Vorsitz streben wir für Ende September auch eine zufriedenstellende Wiederauffüllung des Global Funds an.
 
Meine Damen und Herren, ich glaube, uns allen ist klar, dass es in unserem eigenen Interesse an einer stabilen Weltordnung liegt, dass der afrikanische Kontinent wirtschaftlich und politisch nachhaltige Fortschritte macht. Unsere Agenda für den G 8-Gipfel ‑ die sieben Themen zu den Schwerpunkten Weltwirtschaft, Klimaschutz und Zukunft Afrikas ‑ zeigt insgesamt eines: Wir wissen um Deutschlands Verantwortung in der Welt.
 
Gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs der G 8-Länder und der wichtigsten Schwellenländer wollen wir der Globalisierung ein menschliches Gesicht geben. Dazu wollen wir die richtigen Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung setzen, und wir wollen Lösungen für die großen gemeinsamen Herausforderungen der Menschheit wie den Klimaschutz und die Zukunft Afrikas finden.
 
Wachstum und Verantwortung: Das ist die große Chance der deutschen G 8-Präsidentschaft. Wir danken allen, die daran mitarbeiten, dass aus dieser Chance auch eine Realität wird: den Organisationen, den Mitgliedern dieses Parlaments und den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die sich für eine zukunftsfähige, menschliche Welt engagieren.
 
Herzlichen Dank! 
 
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