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"Die Zahl der Gewalttäter ist gering"

So, 27.05.2007
Im Gespräch mit der "Bild am Sonntag" bekundet Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble seine Sympathie für friedliche Globalisierungsgegner. Die Demonstrationen während des G8-Gipfels seien von der Bundesregierung grundsätzlich erwünscht.


Das Interview im Wortlaut:
 
Bild am Sonntag: Herr Minister, die Gewalt militanter Globalisierungsgegner eskaliert. Droht zum G-8-Gipfel in Heiligendamm ein Bürgerkrieg?

Wolfgang Schäuble: Das glaube ich nicht. Aber natürlich sind die Brandanschläge, die seit Monaten stattfinden, ernst zu nehmen. Wer Autos oder Häuser anzündet, muss damit rechnen, dass auch Personen zu Schaden kommen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung.

Bild am Sonntag: Der Chef der Jungen Union (JU), Philipp Missfelder, weist auf Parallelen zur Anfangszeit der RAF hin. Wächst in Deutschland ein neuer Linksterrorismus heran?

Schäuble: Die Sicherheitsbehörden haben bisher keine Erkenntnisse, dass es Anzeichen für eine terroristische Entwicklung gibt, wie wir sie in den Siebzigerjahren erlitten haben. Trotzdem hat der Kollege Mißfelder nichts Falsches gesagt. Ich kann Debatten auch nicht leiden, in denen der Eindruck erweckt wird, das Werfen von Brandbomben sei eine Bagatelle. Es ist eine schwere Straftat.

Bild am Sonntag: Wie gefährlich sind die linken G-8-Gegner?


Schäuble: Die Zahl der Gewalttäter ist gering, unsere Polizei wird mit ihnen fertig. Diejenigen, die jetzt zu Demonstrationen aufrufen, haben mit den militanten G-8-Gegnern nichts zu tun. Die Demonstrationen sind von der Bundesregierung grundsätzlich erwünscht. Die Staats- und Regierungschefs könnten mit geringerem Aufwand miteinander reden. Ein internationaler Gipfel hat ja den Sinn, auch Weltöffentlichkeit zu mobilisieren.

Bild am Sonntag: Worauf wollen Sie hinaus?

Schäuble: Ein Ziel der Bundesregierung ist, die Aufmerksamkeit eines möglichst großen Teils der Welt auf die Notwendigkeit nachhaltiger Umweltpolitik zu lenken. Und auf die Notwendigkeit, den afrikanischen Kontinent nicht im Stich zu lassen.
 
Wenn die Bürger ebenfalls aufmerksam machen wollen, dass es nicht so weitergehen kann mit Afrika oder mit der Klimapolitik, dann ist das nur zu begrüßen. Ich beschäftige mich selbst intensiv mit diesen Fragen. Die Spaltung der Welt, die Ungerechtigkeit wird mit der Globalisierung größer. Der wohlhabende Teil, der von der Globalisierung profitiert, hat die Pflicht, sich um die Benachteiligten zu kümmern.

Bild am Sonntag : Der frühere CDU-Generalsekretär Geißler ist dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac beigetreten. Wie finden Sie das?

Schäuble: Meine Frau Ingeborg ist ehrenamtliche Vorsitzende der Welthungerhilfe und sie hat in einem Interview von einem interessanten Schritt gesprochen. Meine Frau sagt öffentlich immer nur kluge Dinge.
 
Mein Freund Heiner Geißler kann sehr viel Sachverstand in Attac einbringen. Herr Lafontaine ist auch Mitglied dieser Organisation - und da muss ich sagen: Ich wünsche Attac viele Geißlers und wenige Lafontaines.

Bild am Sonntag: Razzien in der linken Szene, weitreichende Versammlungsverbote am Tagungsort. Ihre Kabinettskollegin Wieczorek-Zeul fürchtet, mit solchen Maßnahmen provoziert der Staat neue Gewalt...

Schäuble: Man sollte Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Gewalttäter agieren aus sich heraus und nutzen polizeiliche Maßnahmen nur als billiges Alibi für ihr eigenes Unrecht, das kennen wir doch schon von früher.
 
Die Bundesanwaltschaft tut nichts als ihre Pflicht nach Recht und Gesetz - sie ermittelt nach Brandanschlägen. Und die Länderpolizeien ergreifen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Ein Mitglied der Bundesregierung verzichtet klugerweise darauf, solche Maßnahmen zu kommentieren.

Bild am Sonntag: Bei Razzien haben Ermittler sogar Körpergeruchsproben von Verdächtigen genommen. Solche Methoden kannte man bisher von der Stasi...

Schäuble: Diese Debatte wird völlig hysterisch gerührt. Die Bundesanwaltschaft hat im Rahmen von Ermittlungsverfahren bei fünf Verdächtigen Geruchsproben genommen. Dabei kann man ein gutes oder ein ungutes Gefühl haben, auch über den Beweiswert kann man streiten - aber die Maßnahme ist von der Strafprozessordnung gedeckt. Darauf hat die zuständige Justizministerin hingewiesen.

Bild am Sonntag: Das heißt, die Praxis wird fortgesetzt?


Schäuble: Darüber entscheidet nicht der Innenminister, sondern die Strafermittler. Möglich sind Geruchsproben nur im Rahmen von Ermittlungsverfahren - also wenn es darum geht, Straftaten aufzuklären. Wenn nun der Eindruck erweckt wird, der Staat wolle vorbeugend tätig werden und potenziellen Demonstranten an die Wäsche gehen, ist das schwer zu ertragen. Niemand spielt hier Stasi.

Bild am Sonntag: Also wird es kein Register geben, in dem der Staat die Gerüche von Bürgern sammelt?


Schäuble: Natürlich nicht. Solche Gedanken sind völlig absurd.

Bild am Sonntag: Der Mitbegründer des Weltwirtschaftsgipfels, Altbundeskanzler Helmut Schmidt, hält Heiligendamm für einen ungeeigneten Ort...

Schäuble: Vielleicht hat der frühere Bundeskanzler seine Vorstellung aus den Anfangstagen der  G-7. Damals waren das Kamingespräche. Was Helmut Schmidt sagt, ist sympathisch, aber nicht sehr realistisch.
 
Heute wollen sich die Staats- und Regierungschefs der G-8 an die Weltöffentlichkeit wenden. Da können sie nicht in einem U-Boot tagen. Das Ostseebad Heiligendamm wurde noch von der vorigen Bundesregierung ausgewählt - auch deshalb, weil man dort die Sicherheit gewährleisten kann.

Bild am Sonntag: Von wem geht die größte Bedrohung für Heiligendamm aus?


Schäuble: Wir leben in einer Zeit, in der ständig Anschläge islamistischer Terroristen passieren. Und ein Großereignis wie G-8 hat ein ernst zu nehmendes Gefahrenpotenzial. Ich glaube aber nicht, dass die islamistische Bedrohung außergewöhnlich hoch ist. Konkrete Hinweise auf Anschlagsplanungen liegen uns nicht vor.