"Was hilft Afrika am meisten?"

Mo, 12.02.2007
 
Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul betont die Anstrengungen der G8-Mitglieder für eine nachhaltige Entwicklung der afrikanischen Staaten. Sie unterstreicht die Bedeutung der Aids-Bekämpfung und plädiert für faire Handelsbedingungen.


Das Interview im Wortlaut:
 
Tagesspiegel: Frau Wieczorek-Zeul, die acht führenden Wirtschaftsnationen haben vor zwei Jahren im schottischen Gleneagles üppige Finanzhilfen für Afrika versprochen. Wo ist das Geld?

Heidemarie Wieczorek-Zeul: Das Geld ist da. In Gleneagles haben die G-8-Staaten zugesagt, bis 2010 ihre Afrika-Hilfe zu verdoppeln. Und das werden wir machen.
 
In Gleneagles haben wir außerdem den multilateralen Schuldenerlass für 29 Staaten vereinbart. Das heißt, dass die bilateralen Geber gegenüber den internationalen Finanzinstitutionen in Ersatz treten.
 
Hier ist reales Geld zur Verfügung gestellt worden, um den Ausgleich zu leisten – und zwar ein Betrag von insgesamt 55 Milliarden Dollar.
 
Und für viele Länder bedeuten die Nichtzurückzahlung von Geldern und die Nichttilgung von Zinsen eine Budgetfinanzierung.

Tagesspiegel: Der Geschäftsführende Direktor des IWF, Rodrigo Rato, sagt, die Geberstaaten hätten ihre Versprechen nicht gehalten. Vom Schuldenerlass bereinigt, ist die internationale Entwicklungshilfe 2005 sogar zurückgegangen.

Wieczorek-Zeul: Schuldenerlass ist ein ganz wichtiges Instrument der Entwicklungszusammenarbeit. Die frei werdenden Mittel aus Zinsen und Tilgung sind direkte Budgethilfen, die den Ländern nutzen und direkt für die Armutsbekämpfung wirksam werden.

 
Nur ein sehr eindrucksvolles Beispiel: In Tansania können dank des Schuldenerlasses heute doppelt so viele Kinder zu Schule gehen – statt 800.000 sind es jetzt 1,6 Millionen.
 
Die zentrale Frage, die wir uns meiner Ansicht nach stellen müssen, ist die: Was hilft Afrika am meisten? Und zwar zusätzlich zu Schuldenerlass und direkten Finanzmitteln.
 
Tagesspiegel: Wie meinen Sie das?

Wieczorek-Zeul: Dass man differenzieren muss. Bei den ölreichen Ländern geht es zum Beispiel weniger um zusätzliches Geld.

 
Sie brauchen ein ordentliches Rechtssystem und ein Wirtschaftssystem, das transparent ist und nicht in Korruption erstickt, damit der natürliche Reichtum für die Menschen in ihren Ländern genutzt werden kann.
 
Über die G 8 versuchen wir, über die Transparenz-Initiative für Rohstoffe in diesen Ländern dazu beizutragen, dass die Bevölkerung insgesamt und nicht nur eine bestimmte Gruppe kurzfristig vom Ölreichtum profitiert.
 
Zudem brauchen selbst die ärmsten Länder nicht nur mehr Geld, sondern auch größere Märkte und mehr Investitionen von außen. Dann brauchen Infrastrukturprojekte nicht mehr zwingend über Entwicklungszusammenarbeit unterstützt zu werden.

Tagesspiegel: Sie haben gesagt: Das Versprechen von Gleneagles werden wir erfüllen. Wann werden die Steigerungsraten so sein, dass Sie das Ziel erfüllen?

Wieczorek-Zeul: Das geschieht mit jedem Haushalt. Wir haben den Aktionsplan in der Koalitionsvereinbarung verankert.

 
So hatten wir in den beiden vergangenen Haushalten eine Steigerung von je 300 Millionen Euro. Das ist mehr als in den Jahren zuvor.
 
Und jeder Haushalt bietet neue Herausforderungen, um das ganz diplomatisch auszudrücken.

Tagesspiegel: Trotzdem reicht das nicht.

Wieczorek-Zeul: Aber auch da gilt: Die Koalitionsvereinbarung ist umzusetzen.

 
Dieses Ziel, bis 2015 die Ausgaben der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu steigern, wird erreicht – durch Haushaltsmittel, durch fortgesetzte Entschuldung und potenziell auch durch innovative Finanzierungsinstrumente.
 
Wenn die nicht kommen, sind es Haushaltsmittel.

Tagesspiegel: Was für einen Budgetansatz brauchen Sie für 2008?

Wieczorek-Zeul: Das würde ich dem Finanzminister ungern über den Tagesspiegel mitteilen, denn das könnte seine Neigung reduzieren, dem nachzukommen.

 
Aber es ist allen Beteiligten klar, dass wir das im Koalitionsvertrag verankert haben.

Tagesspiegel: Wie wichtig ist die Doha-Runde für Afrika?

Wieczorek-Zeul: Wir wissen noch nicht, ob es konkrete Ergebnisse geben wird. In jedem Fall sollte man aber darüber nachdenken, was man handelspolitisch für die afrikanischen Länder tun kann.

 
Ein Großteil dieser Länder braucht Hilfe für den Handel, weil sie zu kleine Märkte haben. Die Europäischen Partnerabkommen, kurz EPAs, allein bringen kurzfristig keinen Fortschritt.
 
Tagesspiegel: Geht es denn bei der Doha-Runde noch um Hilfe für die ärmsten Länder?

Wieczorek-Zeul: Es ist richtig, dass sich die Verhandlungen von ihrem Ausgangspunkt entfernt haben.

 
Für Afrika sind die Dinge wichtig, die in Hongkong vor gut einem Jahr zugesagt wurden, darunter das Auslaufen der Agrarexportsubventionen bis 2013.
 
Die Hongkonger Zusagen müssen Bestand haben, finde ich. Aber das ist noch nicht die abgestimmte Position der Bundesregierung.
 
Offen ist das Ende der US-Subventionen im Baumwollbereich. Auch dafür brauchen wir unbedingt eine Lösung. Das ist für Länder wie Benin, Mali und Burkina Faso immens wichtig, weil sie derzeit mit subventionierten Baumwollprodukten aus den USA auf dem Weltmarkt konkurrieren müssen.
 
Nur weil die USA ihre 25.000 Baumwollfarmer jährlich mit 4,5 Milliarden Dollar subventionieren, sind die afrikanischen Produzenten nicht wettbewerbsfähig. Das ist das Gegenteil von Armutsbekämpfung.
 
Tagesspiegel: Und was ist mit der Aids-Bekämpfung?
 
Wieczorek-Zeul: Das ist ein Schwerpunkt der G 8, und ich denke, da sollte in Heiligendamm ein zusätzlicher finanzieller Schwerpunkt gesetzt werden. Vor allem Frauen müssen vor Infektion und Krankheit besser geschützt werden.
 
Im südlichen Afrika sind mittlerweile 70 Prozent aller Infizierten Frauen. Das ist katastrophal, Frauen sind in Afrika die aktivste Bevölkerungsgruppe und gerade für die Entwicklung in den einzelnen Ländern von zentraler Bedeutung.
 
Zudem denke ich besonders an das Problem der Ansteckung von Kindern durch ihre Mütter. Da geht es um Prävention und Versorgung mit Medikamenten.
 
Tagesspiegel: Wollen Sie da einen inhaltlichen Schwerpunkt setzen, oder fordern Sie neues Geld?
 
Wieczorek-Zeul: Beides. Ich finde es thematisch wichtig, aber ich sehe auch einen Finanzbedarf. Ich will jetzt aber keine Summen nennen, denn das wirkt kontraproduktiv.

Tagesspiegel: Ist die Forderung, dass die G 8 für die Aidsbekämpfung in Afrika eine Milliarde Dollar zusätzlich mobilisieren sollen, zu hoch?

 
Wieczorek-Zeul: Nein. Das wäre sie nicht. Aber wir haben noch keine Festlegung der Regierung und der G8.

Tagesspiegel: Teilen die Kanzlerin und der Finanzminister Ihre Überzeugung – fühlen die sich dem Thema ebenso verpflichtet wie Sie?

Wieczorek-Zeul: Das denke ich schon. Es gibt ja auch ein G-8-Finanzministertreffen, zu dem afrikanische Minister eingeladen sind. Während des deutschen G-8-Vorsitzes wird es einen Afrika-EU-Gipfel geben, darauf hat Angela Merkel großen Wert gelegt.

 
Das ist seit Jahren überfällig. Frau Merkel wird auch afrikanische Länder besuchen. Wer dahin fährt, kommt begeistert zurück. Deswegen bin in zuversichtlich. Bundespräsident Horst Köhler ist noch vor seiner IWF-Zeit drei Wochen zu intensiven Gesprächen in Afrika gewesen und kam begeistert zurück.

Tagesspiegel: Dann nehmen Sie doch mal Peer Steinbrück mit.

Wieczorek-Zeul: Gerne. Mit Hans Eichel wollte ich früher auch schon nach Afrika reisen, aber es hat nie geklappt.

 
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