Es geht um Europa

Do, 14.06.2007
 
Ende Juni geht die Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu Ende. Die Bundesregierung hat viel erreicht, bilanzierte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung zum bevorstehenden Europäischen Rat am 21. und 22. Juni in Brüssel. Der wichtigste Punkt bleibt allerdings auf dem Gipfel noch zu klären: Wie geht es weiter mit dem Europäischen Verfassungsvertrag?
 
 
Im Frühjahr 2005 sind die Volksabstimmungen über die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Der Verfassungsprozess wurde gestoppt, die Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen eine Denkpause. Diese ist nun vorüber.
 
Franz Müntefering spricht mit Angela Merkel auf der Regierungsbank.Foto: REGIERUNGonline/Bergmann Vergrößerung Auf der RegierungsbankDer deutschen Präsidentschaft stellte sich im vergangenen halben Jahr die Mammut-Aufgabe, einen Fahrplan für den neuen Verfassungsprozess zu entwickeln. Bis zur Wahl des Europäischen Parlaments im Jahre 2009 soll eine neue, gemeinsame Grundlage erarbeitet werden. Ein neuer Vertrag soll dafür sorgen, dass die EU auch mit 27 und mehr Mitgliedstaaten handlungsfähig bleibt.
 

Gute Chancen für einen Fahrplan

 
Seit Januar reihen sich zahlreiche vertrauliche Konsultationen mit allen EU-Partnern aneinander. Jedes Land habe dabei seine Haltung vorgetragen, manche begleitet von Bedenken, berichtete die Kanzlerin. Ihr Fazit: Es gibt im Verfassungsprozess eine große gemeinsame Basis. Die offenen Fragen seien "überschaubar, aber sie haben es in sich", so Merkel.
 
Die Kanzlerin warb um Verständnis, dem Beratungen in Brüssel nicht vorgreifen zu dürfen. Eines sei allerdings schon jetzt klar: "Es gibt eine große Chance, den Fahrplan zu verabschieden."
 
Einen möglichen Kompromiss deutete sie bereits an: eine Reform der europäischen Verträge durch einen Änderungsvertrag zu unterlegen. Damit bliebe die Substanz des Verfassungsentwurfs erhalten, gleichzeitig würde der Angst vieler Bürgerinnen und Bürger Europas vor einem "Superstaat" entsprochen.
 
Schon jetzt zeichne sich ab, dass in den Vertrag keine staatsähnlichen Symbole und Zeichen aufgenommen werden sollen.
 

Wer erhält wie viele Stimmen?

 
Die Bundeskanzlerin sprach in der Regierungserklärung auch einen der problematischsten Punkte an: den künftigen Abstimmungsmodus in der EU. Diese Frage wird insbesondere in Polen diskutiert. "Eine Lösung ist noch nicht in Sicht", sagte Merkel.
 
Der Verfassungsentwurf sieht hier das Prinzip der doppelten Mehrheit vor. Beschlüsse erfordern danach eine Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedsländer. Insgesamt müssen dabei 65 Prozent der EU-Bevölkerung zustimmen. Nach dem bisher geltenden Nizza-Vertrag hat Polen mit rund 40 Millionen Einwohnern 27 Stimmen im Rat.  Deutschland  mit fast doppelt so vielen Einwohnern verfügt über 29 Stimmen. Mit dem System der doppelten Mehrheit verlöre Polen Stimmen im Rat.
 
Ein weiteres Thema ist die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU einerseits und der Mitgliedsstaaten andererseits. Im Vordergrund steht dabei für die Bundeskanzlerin und die deutsche EU-Ratspräsidentin die Handlungsfähigkeit der EU.
 
"Nach zwei Jahren Denkpause und einem halben Jahr intensiver Diskussionen wollen wir nun einen großen Schritt nach vorne machen", sagte Merkel. "Gelingt das nicht, ist das nicht der Untergang Europas." Allerdings müsse die EU mit schwerwiegenden Folgen rechnen, warnte die Bundeskanzlerin.
 

Positive Bilanz der Präsidentschaft

 
In den zurückliegenden Monaten sei vieles erreicht worden, sagte Merkel. Niemand spreche heute mehr von Stagnation in Europa. Stattdessen seien neue Entschlossenheit und Geschlossenheit spürbar.
 
Angela Merkel gratuliert Hans-Ulrich Klose zum 70. GeburtstagFoto: REGIERUNGonline/Bergmann Vergrößerung Am Rande der Sitzung: Angela Merkel gratuliert Hans-Ulrich Klose zum 70. GeburtstagDie Ergebnisse der deutschen Ratspräsidentschaft könnten sich "wahrlich sehen lassen", so die Kanzlerin. Und das auch ganz konkret: angefangen bei geringeren Gebühren fürs grenzüberschreitende Mobiltelefonieren über mehr Verbraucherschutz für Kreditnehmende bis zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der gesamten EU. Auch wurde das Schengen-Abkommen ausgeweitet und die Euro-Zone größer.
 

Gemeinsam richtungsweisend

 
Am Beispiel der Klimaschutzpolitik legte Merkel die Bedeutung eines ge- und entschlossenen Europa dar: Ohne die Einigung beim Europäischen Rat im März wäre der "enorme Fortschritt" der Klimabeschlüsse des G8-Gipfels in Heiligendamm völlig undenkbar gewesen, so die Kanzlerin.
 
 
Neben den Industriestaaten kommt auch den großen Schwellenländern künftig eine besondere Verantwortung für den Klimaschutz zu. Die Bundeskanzlerin hob die Bedeutung der in Heiligendamm beschlossenen Kooperation mit diesen aufstrebenden Staaten hervor. Der so genannte Heiligendamm-Prozess sieht vor, in den kommenden zwei Jahren mit Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika über zentrale Fragen der Weltwirtschaft in einen konstruktiven Dialog zu treten.
 
 

Erfolgreicher G8-Gipfel

 
Merkel skizzierte die weiteren Beschlüsse der G8. So bekräftigte der Gipfel das große Engagement für die Zukunft Afrikas. Die Zusagen zur Steigerung der öffentlichen Entwicklungsleistungen wurden bestätigt. Deutschland etwa wird seine Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit bis 2011 um 3 Milliarden Euro erhöhen.
 
 
Die Kanzlerin erneuerte ihren Vorschlag, über innovative Finanzinstrumente weitere Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zu mobilisieren. So könne sie sich vorstellen, die Erlöse aus der Versteigerung von CO2-Zertifikaten in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern zu lenken.
 
Diese und andere Fortschritte hätten viele Beobachter noch vor kurzem für unmöglich gehalten, erinnerte Merkel. Dass sie dennoch möglich geworden sind, sei maßgeblich auch ein europäischer Erfolg, ist sich die Kanzlerin sicher: "Gemeinsam können wir Europäer unsere Anliegen in der Welt zur Geltung bringen."

 
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